Elmar Zorn
Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste, Salzburg 1997
Was können uns Künstler noch sagen und noch zeigen, was nicht schon längst gesagt und gezeigt wurde im Laufe der Kunstgeschichte ? Doch das Wunder ereignet sich immer wieder non neuem: Ein guter Künstler, einer, der seine ganze schöpferische Kraft aufwendet, weil er seine Visionen in Formen, Farben, Figuren ausdrücken will und muss, wird dem schier unendlichen Schatz gestalterischer Möglichkeiten eine spannende neue Variante hinzufügen, gleich in welcher künstlerischen Sprache, dies geschieht, traditionell oder avantgardistisch.
Veronica v. Degenfelds Malerei begeistert den Betrachter auf den ersten Blick durch die herrliche Frische und Glut der Farben ihrer landschaftlich geprägten Motive: intensivstes Rot, Rosa und Grün und celestisches Weiss und Blau, wie wir es in der Gegenwartsmalerei so nicht finden. Man muss auf Maler wie Emil Nolde einerseits und Tiepolo andererseits zurückblicken, um solche Unverkrampftheit und Fröhlichkeit im Umgang mit der Farbe zu finden. Auf den zweiten Blick stutzen wir und entdecken bei der Betrachtung der Bilder merkwürdige Formationen. Aus Wolken, Hainen, Sträuchern haben sich kaum kenntlich Figuren - besser: Ahnungen von Figuren - formieren lassen, die dann doch mit einem einzigen Pinselstrich getroffen sind , so wie der Schattenriss oder das Scherenschnittprofil oft bezeichnender für das Ganze steht als die volle Ausführung.
Solch virtuos arrangierte Erscheinungen erinnern an vergleichbare Phänomene in der Kunstgeschichte : in Anamorphosen, in Perspektivespielereien des Manierismus und den trompe l'oeil, den Wahrnehmungsspielen des Barock und des Rokoko.
Doch während diese sich im Erkennen auflösen, bleiben Veronica v. Degenfelds Bilder rätselhaft. Sie sind - bei aller Leichtigkeit der Anmutung - geheimnisvolle Botschaften, die verschlüsselte Bedeutungen in sich bergen und bewahren. Lediglich den Andeutungen in den Umrissen entnimmt das ikongrafisch geschulte Auge, dass es sich um biblische Gestalten, um anzitierte Motive, wie das von Maria Magdalena und dem Auferstandenen, handeln könnte. Die Titel der Bilder bestätigen solche Vermutungen, ohne sie dadurch aufzulösen. Die Verfahrensweise ist also nicht die einer Allegorie - ein Bild steht für einen festen, bekannten Sinn - sondern Bleibt eine poetische, eigengesetzliche, auch wenn sie sich in den Dienst einer religiösen Botschaft stellt. Es geht der Künstlerin nicht um Erbauung, sondern um Wiedergewinnung des Geheimnisses.
Dies verdient bemerkt und festgehalten zu werden, da die religiöse Kunst unserer Tage darunter leidet, dass sie entweder in ihren Kunstmitteln und ihrem Ausdruck Beschränkt und klischeehaft ist oder zu didaktisch und gut gemeint. Auch gute Kunst, in eine kirchliche Umgebung gestellt, ist keine religiöse Kunst, wenn sie sich nicht thematisch auseinandersetzt, wie dies in der in der Malerei von Veronica v. Degenfeld geschieht. Der Betrachter ihrer Bilder wird - und das ist die Suggestion ihrer Kunst - eingeführt in eine Vergegenwärtigung, anders ausgedrückt, in eine Verortung, in der zwei Welten zur Deckung gebracht sind: die der Natur und die des Glaubens. Der immer wieder in ihren Werken imaginierte Garten ist der Garten Eden, der Handlungsplatz der Suche Gottes nach dem Menschen " Wo bist du, Adam " und der Ort der Begegnungen mit der Heilsgeschichte. Der Betrachter darf in völliger Freiheit, ohne mahnenden Zeigefinger, in den sinnlichen Schönheiten der Bildkomposition verweilen, darf im Garten der Farben spazieren gehen, freilich aber auch über die rätselhaften Hinweise und Botschaften in den angedeuteten Figuren und Konstellationen sinnieren. In jedem Fall werden es Meditationen sein, wozu die Bilderwelt der Künstlerin ihn einlädt: Meditationen nicht über den Schöpfer des Bildes, seine Befindlichkeit und seine Weltsicht, wie dies sonst in dem zumeist selbstreferentiellen Kunstgeschehen mit dem Künstler in der Rolle des sich problematisierenden Aussageträgers abläuft, jedoch auch nicht nur und unverbindlich über die Schönheit der natur, dargestellt in der Schönheit der Kunst. Degenfelds Bilder sind nicht dekorativ, nicht behübschend gemeint. Sie lenken vielmehr, und dies in müheloser Selbstverständlichkeit, auf eine neue Einheit: Die Welt der Ästhetik, des schönen Scheins, der Oberfläche, ist verbunden mit der Welt der Transzendenz von Denken und der Tiefenstruktur des Glaubens, des Sinnerforschens. Solche Einheit als wahrnehmbar zu postulieren und darstellen zu wollen - das hat schon seit langem kein Künstler mehr im Medium der Malerei versucht, noch dazu auf eine dem Publikum durch die Wahl der mittel leicht zugängliche Weise. Veronica von Degenfeld versteht es meisterlich, zugleich zu führen (Glaubenskraft) und zu verführen (Kunstschönheit ).
Elmar Zorn
Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste, Salzburg 1997